Biel 2011 - Hin und Weg Edition

Die Vierte Versuchung

Moin,

Biel, immer wieder Biel. Eigentlich heißt es ja: Einmal musst Du nach Biel. 2011 war jetzt mein viertes Mal. Und wie so oft dachte ich vorher, dass es auch das letzte Mal sein würde. Vorher ging es mir nämlich schlecht. So richtig schlecht. Ich hatte Schmerzen in beiden Achillesfersen, die Knie taten weh und die Hüfte joddelte in allen Tonlagen. Wenn ich 10 km gelaufen war konnte ich am nächsten Tag keine Treppe hinunter gehen ohne Gefahr zu laufen zu stürzen. Hin und wieder sackte ich einfach "durch" nachdem ein stechender Schmerz durch die Hüfte schoss. Keine guten Voraussetzungen.
Und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen fühlte ich mich auch schlapp. So was von Schlapp. Ich mochte einfach nicht mehr recht laufen. Und das obwohl ich vor Biel lächerliche 461km in 2011 trainiert hatte. Bei meinem Debüt in 2006 dachte ich noch fast 1200km seinen wenig. Und nun stand ich da mit einem Drittel. Und wollte Biel laufen. Ich war wirklich unsicher ob Knochen und Fitness diesmal für einen Zieleinlauf reichen würden. Damit es lustig bis zum Schluß bliebe hatte ich dann noch die Hin-und-Weg Edition gebucht. Sprich, es gab keine Schlaffstatt in der Lago Lodge wie all die Jahre zuvor. Nein. Ich würde erst gegen Mittag in Zürich landen und dann mit sehr wenig Vorlauf Biel erreichen. Für 1-2 Stunden Schönheitsschlaf sollte es aber dennoch reichen. Und damit ich unterwegs nicht in trödeln geraten würde, hatte ich den Rückflug von Zürich für 20:00 Uhr gebucht. Mit Bahnfahrt, Check-In und Duschen würde es bedeuten ich müsste bis 14:00 im Ziel sein. 16Stunden. Ja, ich weiß, das ist kein Laufen mehr. 9:35 auf den km würde auch ich nicht wirklich als Laufen bezeichnen. Aber das ist der Schnitt und wenn an die Pausen an den Verpflegungsstationen abzieht würde es bedeuten, dass ich der echten Bewegungsphase schon so um die 7:30 hoppeln müsste.
OK, das war also der Plan.


Entspannt traf ich mittags am Flughafen ein, lies mein Gepäck auf gefährliche Inhaltsstoffe untersuchen, gönnte mir ein Hörnchen in der Lounge und lies mich schließlich nach Zürich bringen. Dort angekommen galt es die Bahnkarte nach Biel zu ergattern. Automaten kamen mal wieder nicht in Frage, weil die den sogenannten Prisma Code für die Lauftage Biel nicht akzeptieren, also rein in die Schlange und warten. Dann schwups mit dem Zug nach Biel. Den Bahnhof in der gewohnten Richtung verlassen, aber eben nicht mit dem Ziel Lago Lodge sondern EXPO Gelände. Dem neuen Areal der Lauftage. Dumm nur, dass der Start in der City ist und wir abends noch ein Stück zu laufen hätten. Aber auch sonst bot der neue Veranstaltungsort ein paar Kritik-würdige Punkte. Nur wer noch nie gelaufen ist konnte auf die Idee kommen den gesamten Umkleidebereich mit Rindenmulch voll zu kippen. Die Brösel saugten sich förmlich an allen Kleidungsstücken fest und so wurde das Fremdkörperfreie anziehen der Laufsachen (hier insbesondere der Schuhe) zu einem interessanten Balanceakt auf den Biertischbänken.
Erst später relevant aber durchaus als Rückschritt zu betrachten war auch die mangelnde Versorgung mit Duschen. Zwar waren diese jetzt in Containern, mit Vorhang und Vorraum. Aber derer 8 waren dann doch zu wenig für die Scharr der Läufer. In den Jahren vorher gab es vom Schweizer Militär ein Zelt, an der Decke so eine Art Warmwasser Sprinkleranlage. Keine Vorhänge. Kein Komfort. Aber warm und in der Lage auch einen großen Ansturm zu bewältigen. Nicht immer ist das Neue besser!
OK. Zurück zum eigentlichen. 22:00 Es ging los. Die 1.5km Fußmarsch vom Umkleidebereich zum Start konnten wir trocken absolvieren. Den Nachmittag über hatte es nämlich intensiv geregnet. Es keimte ein wenig Hoffnung in mir auf, dass auch der Lauf trocken sein würde. Der Start war unspektakulär. Der Laute Knall war leiser und ich stolperte fast über eine Zeitnahmematte. Das war also auch neu. Bisher wurde in Biel ja nie eine Startmatte überlaufen. Es gab nur eine Bruttozeit.


Bereits 2km nach dem Start kam der Regen zurück. Zunächst als leichter Niesel. War erträglich. Auch für eine Frostbeule wie mich. Die Luft war lau und so buchte ich das als machbar. Das hätte ich nicht tun sollen, denn der Regen konnte anders und zeigte das so ab km 6. Es goss aus Eimern. Dazu kam jetzt sehr stark böiger Wind. Innerhalb weniger Minuten war mir schlotterkalt. Zum Glück lies der Regen irgendwann wieder etwas nach und auch der Wind schlief ein. Ab dann war mir nur noch kalt.
In Biel wird ja viel auf Straße gelaufen. Aber eben nicht nur. So ging es auch über Wege durch Felder. Diese waren mit etwas Windschief verlegten Betonplatten befestigt. In trockenen Tagen eine Quelle für stolperer, in Zeiten des großen Regens kamen die Läufer in den Genuss von Kneipp Anwendungen. Einige Pfützen waren Knöcheltief.


In diesem Wasser- und Lufgekühlten Modus lief ich durch die Nacht. Ich erkannte dennoch das eine oder andere km Schild und konnte feststellen, dass ich mich innerhalb meiner langsamen Planung befand. Ich wollte Oberamsen in ca. 5 Stunden erreichen. Ich kam "nur" ca. 20min später dort an. Ich war nass, aber zufrieden. Lief doch. Ich hatte keine Zipperlein und brach immer noch nass, aber gutgelaunt zu weiteren Taten auf.
Es folgt eine Steigung, die ich wie immer gegangen bin. Dann bergrunter, links Kurve und wieder bergauf. Im Lauf bergab merkte ich ein zwicken im Knie. Bergauf zwickte es mehr. Dann kam der km 45 und aus dem Zwicken war ein Stechen geworden. Als ob jemand von links außen etwas in mein linkes Knie gestochen hätte. Bei jedem Schritt schoss ein Schmerz aus dem Knie. Zu groß zum ignorieren. Zu bedrohlich auch. Es fühlte sich definitiv nicht gut an. Bei km 45 ist aber nichts und niemand. Also beschloss ich mich noch GANZ langsam und behutsam bis Kirchberg vor zu arbeiten. 11km. Das diese noch fast 3 Stunden dauern würden ahnte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Ich experimentierte ein wenig mit verschiedenen Gangbildern herum, nur um am Ende festzustellen, dass ich kein schmerzfreies finden konnte. Immer wieder musste ich stehenbleiben und abwarten, dass der Schmerz ein wenig nachlässt. Nicht schön. Nach schier endloser Zeit kam das Wäldchen in dem normalerweise das km50 Schild steht. Das Wäldchen war da. Das Schild nicht. Durch den veränderten Streckenverlauf musste ich noch ca. 500m auf das Schild warten. In meiner Verfassung eine Ewigkeit.


Irgendwann war dann auch ich in Kirchberg. Ein Schild. Links die 100km, rechts die 56km Teilstrecke. Noch nie war mir ein rechts Abbiegen so schwer gefallen. Ich war nicht im Mindesten erschöpft. Das tat am meisten weh. Wenn ich einfach nur alle und kaputt bin und deswegen raus muss. Nun gut. Aber wegen Aua? Letztlich war es auf der Treppe auch schon so. Und nun erneut in Biel. Murks.


Jahreszahlen. Im Looser Bus nach Biel habe ich auch Jahreszahlenspiele gemacht. 2006 und 8 und 10. Gerade. Immer angekommen. Immer Sonne. 11 ungerade, nicht angekommen, Regen. Nun bin ich nicht abergläubisch und daher ist das natürlich völlig unbedeutend…. Sagt aber eindeutig 2012 ist Sonne und ich komme wieder an!
Da der Rückflug erst um 20:00 - ja jetzt durch den Abbruch war es plötzlich ein "erst" - ging, konnte ich mich 8 Stunden in der Lounge vergnügen. Für einen Stadtbummel hatte eine Abstimmung unter meinen Knien zu einem klaren Nein geführt. Ich saß und lag da also 8 Stunden rum und die Erholung setzte ein. Als Conni dann am Gate auf mich traf konnte ich schon wieder recht flott gehen. Am nächsten Tag merkte ich kaum noch was. Beim Gehen. Dann klingelt das Telefon. Wo liegt der Knüppel. Ein Blick in die nähere Umgebung. Hier nicht. Das zweite klingeln. Noch weitere Zwei und der AB geht ran. Eile ist geboten. Das Geräusch kommt eindeutig von unten. Während ich die Treppe runterstürze ertönt das Dritte Klingeln. Das Vierte geht unter im gewimmere. Am Ende Treppe treibt es mir die Tränen in die Augen. Die Schmerzen sind wieder da. Nur weil gehen funktioniert sollte man eben nicht denken, der Rest ginge auch wieder. Letztlich war der Anruf unwichtig, der Schmerz aber real. Ungerechte Welt.
Heute bin ich also vorsichtiger. Renne nicht. Meide abrupte Kurswechsel mit Drehung im Knie. Sitze möglichst entspannt. Und dennoch ist da immer diese wohlig warme linke Knie. Mit einem diffusen Druckgefühl. Vermutlich gehe ich diese Woche noch zum Arzt. Man wird sehen.
Und in 2012, bei Sonne, sehe ich auch wieder das Ziel. Dann hoffentlich wieder am Eisstadion. Ohne Rindenmulch und Wanderung zum Start. Mit einem 50km Schild am Waldrand…. In meinem Alter sind Veränderungen Gift!






Angekuckt von Neugierigen