Dodentoch

August 2008



100km für eine Ananas oder Hochmut kommt vor dem Fall

Nun denn, einige haben sicher schon den einen oder anderen Bericht von wowbagger hier gelesen. Oft ging es um Läufe bei den wowbagger mehr oder weniger gut vorbereitet war. Der Bericht selbst war dann bemüht komisch und stellte am Ende einen siegreich eingelaufen wowbagger dar. Trotz aller Schmerzen und mentalen Tiefs.

Es muss wohl diesem „irgendwie bin ich immer angekommen“ und einer gehörigen Portion selbst Überschätzung geschuldet sein, dass sich dann das zutrug worüber ich nun heute berichten möchte.

Es begann mit Biel. Ich war bereits im Training für Biel in ein Loch akuter Laufunlust gefallen und hatte dann Biel auch nur knapp ins Ziel gerettet. Schon vor dem Start war daher klar: Nach Biel laufe ich erstmal keinen Meter. Und auch sonstiges Training wie schwimmen, Rad fahren und ähnliches würde nicht stattfinden. Offen war wie lange ich pausieren würde.

Auf der Heimreise von Biel sinnierten Sven und ich darüber ob man nicht vielleicht Biel ebenso schnell wandern könnte wie wir es immer im Laufen versuchen. Brachen wir doch regelmäßig bös ein und verschenkten dadurch viel Zeit. Also vielleicht lieber langsam und beständig durch WANDERN? Wander.. da war doch was. Genau. Dodentocht. Eine 100km Wanderung. Belgien. Plattes Land. Für einen Zeittest nur dann ideal wenn man irgendwas als Ersatz für die Hügel auf der Biel Strecke hat.

Ihr ahnt es schon. Der manische selbst Überschätzer wowbagger hatte sich gerade einen Plan geschmiedet. 14 Juni Biel, Start des totalen Trainingsverzichts, 8 August Ende des Trainingsverzicht mit der Teilnahme am Dodentocht. Also ca. 8 Wochen nichts tun und dann 100km wandern. In meinem wahrscheinlich ziemlich verwirrten Hirn stufte ich den Trainingsverzicht als Ausgleich für die Berge in Biel ein.

Ich muß allerdings irgendwie gespürt haben, dass diese Idee die ich da ausgebrütet hatte um so vieles dämlicher war, als alles was ich so zuvor gemacht hatte das ich vorsorglich niemandem davon erzählte. Vermutlich hätte eh alle denkenden Menschen mir einen Vogel gezeigt und gesagt las das mal schön bleiben.

Nun niemand hatte die Chance dazu, weil ich ja nichts gesagt habe. Auch bei mir rührte sich leider kein Funken Vernunft und so kam der 08.08 und ich saß im Auto in Richtung Bornem, Belgien. Es regnete viel. Eigentlich doof. Waren die Vorzeichen nicht schon schlecht genug. Mußte nun auch noch Regen dazu kommen? In der nähe von Bornem angekommen fanden sich viele Schilder die auf den Dodentocht hinwiesen. Allerdings in lustiger Belgischer Variante. Man stand an einer Kreuzung. Aus einer Richtung kam man, 3 konnte man wählen und in alle ging es angeblich zum Dodentocht. Interessant. Na ich kurvte viel herum bis ich dahinter kam, dass diese Schilder immer nur mögliche Parkplätze anzeigten, die aber alle mega weit vom Start entfernt waren.

Nach einigen Schleifen erreichte ich dann Bornem. Da waren dann absolut keine Schilder (zumindest sah ich keine) ich fuhr also nach Gehör in Richtung der lauten Musik. Ziemlich in der Nähe konnte ich legal parken und schlappte los um meine Unterlagen zu holen. In der Schlange vor dem Zelt wurde ich dann fix gewässert. Na prima. Mit den Unterlagen – eigentlich nur der Chip zur Zeitmessung und einer Karte der Strecke – ging es zrück ins Auto. Vorschlafen stand auf dem Plan. Immerhin diesen Punkt nahm ich ernst. Genug Schlaf.

19:00 ich stand auf, zog mich um und ging Richtung Start. Wie im übrigen ca. 8000 andere auch. Sah man aber nicht so, weil der Startaufmarschbereich verwinkelt in Häusergasen verborgen war. So konnte man sich einbilden es würden nur ein paar hundert Leute starten. Noch immer kamen mir keine Zweifel die groß genug gewesen wären das unternehmen abzubrechen. Dummheit pur. Noch wäre die Chance da. Ich hätte für die anderen an der Strecke stehen können, anfeuern und die Atmosphäre aufsaugen können. Aber nein, ich musste ja teilnehmen. Nochmal: Dumm!

Irgendwann bewegte sich die Menge. Das war wohl der Start. Ich hatte keinen Knall, keinen Count Down oder so was gehört. Es ging einfach los. Zeit spielte ja – laut Veranstalter – auch keine Rolle. Es ging ums dabei sein. Man war das toll ich war dabei und überholte massenhaft Menschen (hätte einem intelligenten Menschen zu denken geben). Mein Puls war irre niedrig. Und ich war flott dabei. Wandern ist ja so einfach. Denkste. Aber dazu später mehr. Auch an dieser Stelle setzte also der Verstand nicht ein. Wenn ALLE langsam beginnen, warum muß der vermutlich einzige untrainierte dann so fürchterlich Gas geben? Unvernunft. Mehr gibt es nicht zu sagen. Oder Blödheit.

Eins war beim Wandern allerdings anders. Bereits nach ca. 4km merkte ich eine beginnende Blase an der rechten Ferse. Ungewohntes abrollen. Zuerst dachte ich es sei ein Stein. Aber da war nichts zu finden. Muß also an der anderen Bewegung liegen. Auch hier hätte man bereits sagen können, na dann eben nicht. Aber auch hier funktionierte der Selbstschutz nicht.

Bis km 30 war ich einer der eifrigsten Überholer. Das lies anscheinend jeden ggf. noch vorhandenen Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Teilnahme schwinden. Aber nur für kurze Zeit. Den zwischen km 30 und 40 überholte ich nicht mehr sondern schwamm im Strom mit. Und ab km 40 wendete sich das Blatt.

Aber mal etwas ganz anderes. Die Wanderung war so was von perfekt in der Organisation (wenn man mal vom auffinden des Startes absieht). Es waren Getränke Batterien aufgebaut an denen die 8000 Teilnehmer gleichzeitig und ohne große Wartezeit hätten versorgt werden können. Ich würde tippen einige Stationen hatten über 100m lang gefüllte Becher in 15er Reihen hintereinander stehen. Und das auf beiden Seiten der Strecke. Irre. Und der Hammer kommt jetzt: Wanderer sind sauber. Nicht EIN Becher lag auf der Strecke. Alle wurden in die bereitgestellten Behälter geworfen. Das habe ich so noch nirgends gesehen. Hut ab Ihr Wandersleut. Das ist wirklich eine Vorbildfunktion. Letztlich ja auch kein Umstand den Becher in die Tonne zu werfen. Fraglich warum Jogger sich da so schwer tun.

Und es war trocken. Die hatten es geschafft den Regen pünktlich zum Start um 21:00 abzustellen. Sogar Sonne gab es am nächsten Tag. Regen erst wieder in der Nacht nach dem Rennen. Das haben die gut gemacht.

So zurück zu meiner unrühmlichen Geschichte. Ich wurde also ab km 40 durchgereicht. Mental nicht so schön. Aber war das bei den Umständen nicht klar? Das konnte ja nicht gut gehen. Von den Muskeln her scheint Wandern andere Stränge zu belasten als joggen. Oder war es das fehlende Training? Jedenfalls machten sich irre Verhärtungen an der vorderseite der Oberschenkel und in der linken Wade bemerkbar.

Wandern. Wo ich das schreibe, muß ich gestehen, dass hier ein weiterer großer Vorwurf an mich selbst zu richten ist. Bei allen anderen Dingen über die ich sonst hier so berichte, habe ich vorher gewusst was ich da tue. Ich hatte beim Triathlon durchaus mal alle Disziplinen getestet. Vielleicht nicht ausreichend trainiert, aber eine Idee über meine Leistungsfähigkeit gewonnen. Wandern hatte ich nicht geprobt. Ist ja auch so einfach. HaHa. Na man lernt eben nie aus.

Bis km 65 zuckelte ich also mehr recht als schlecht über die Strecke. Freute mich über Versorgungsstationen in Brauereien wo man durch Palettengänge zu den Futterquellen geführt wurde. Lustige Sache das. Es ist Dunkel, man biegt um eine Ecke. Licht überzieht einen Werkshof, Bierpaletten formen einen gewundenen Gang, da plötzlich tauchen Tische aus dem Nichts auf. Süße Törtchen, Waffeln oder andere Kristallzucker Bomben warten auf den Wanderer. Kaffee, Wasser und anderes gibt es zu trinken. Kaffee. Herrlich. Sicher nicht die Nummer 1 unter den Sportgetränken, aber ich nahm es gern.

Bei km 65 habe ich mir dann auch eine Massage gegönnt. War doch mittlerweile alles fix hart geworden. Da konnte man ruhig mal was gegen tun. Dann hörte ich man könne auch seine Blasen versorgen lassen. Na dann. Das kleine nervige Ding an der rechten Ferse würde ich gern ruhig stellen. Hin also zu einem Pfleger. Schuh auf. Wasserdichte Trailrunning Schuhe. Warum ich das erwähne? Nun ja kein Wasser rein. Blut und Lymphe konnten auch nicht raus. Ich war sehr geschockt als ich den Schuh aushatte und er umgekippt auf dem Boden lag und sich eine ca. Din A4 Blatt große Blut-Lymphe Lache gebildet hatte. War wohl mehr als eine kleine Blase.

Erneut eine Gelegenheit dem ganzen ein Ende zu setzen. Erneut eine Gelegenheit die ich nicht nutze. Dumm. Saudumm. Wowbagger. So in etwa muß man das wohl steigern.

Der nette Pfleger entfernte in etwa einen Hautlappen halb so groß wie ein 10 Euro schein. Packte einen flotten Jod-ach-brennt-das-herrlich-desinfektions-lappen auf die offene Haut. Wickelte mächtig Mull um das Unglück und sah mich fragend an: Are you going to contiune the walk? Dumme Menschen geben Dumme antworten: Of course will ich continue. Gesagt getan.

Ich wusste die ersten Meter nicht wie vor Schmerzen und Muskelsteife gehen sollte, aber schon nach 30min hatte sich das gebessert. In der Zeit hatte ich mich auch mächtig 2km vorwärts bewegt. Klasse. Wowbagger Du bist ein selten dämliches Rindvieh. Aber das sagte ich bereits.

Langsam ging es von nun an weiter. Kurze Pause an den jetzt in ca. 5km Abständen platzierten Verpflegungsständen wechselten sich mit mühsam Gehwiederaufnahmen ab. Rechnen konnte ich auch nicht mehr richtig. So hatte ich dann einen noch mal recht schnellen 5km Abschnitt als ich kurzzeitig dachte 24Stunden würden nicht reichen. Aber das waren einfach weitere geistige Ausfallerscheinungen. Neben den bereits erwähnten, die mich überhaupt hier her gebracht hatten.

Etwas konnte ich aber noch genießen, die Belgischen Landschaft. Fix platt. Die Orte merkwürdig zerfahren. Nicht so mit einem echten Kern. Ist mir jedenfalls nicht aufgefallen. Neubauten gibt es wohl derzeit nur in zwei Varianten. Entweder alten Landschlössern nachempfunden oder Desinger Häuser mit Schlitzartigen Fenstern und gewagt integrierten CarPorts. Lustiges Volk. Gemeinsam haben beide Varianten einen akkurat angelegten Garten. Kaum vorstellbar was da für Pflegeaufwand reingeht. Haben die alle Verträge mit Gärtnern?

Schafe habe ich auch einige gesehen. Nächtens sind wir auch mal an einer riesigen Schweinefarm vorbei gekommen. Ein unwirklicher Duft in Mitten der Nacht. Das war auch in etwa dort, wo ein Kirchenbetreiber anscheinend den Wanderen etwas gutes tun wollte und seine Glocke auf Dauerbimmel geschaltet hat. Ca. 2 Stunden – die Route ist ja wirr ins Land gefaltet – konnte man mal näher mal nur schwach das Läuten der Kirche hören.

Offene Ferse, kein Training, nur noch überholt werden…. Gründe die Sache an jeder verflixten Stelle der Wanderung zu beenden hätte ich genügend gehabt. Niemand hätte gesagt: Loser. Vielmehr werden jetzt wo ich nicht abgebrochen habe alle zu Recht sagen: Idiot. Ich kann mir das nur so erklären das in meinem Midlife crises geschütteltem Körper das „ich hör auf Gen“ demontiert wurde.

Ich bin also die letzten 35km ins Ziel gekrochen. Allein auf den letzten 5km habe ich mehrfach Eschöpfungsrast auf Zäunen oder Steinen gemacht. Aber alles nur dann wenn ich in etwa stehend support für meinen Hintern bekommen konnte. Aus Sitzender Haltung wieder hoch zu kommen war nahezu unmöglich.

Ich war total erledigt als ich meine Ananas erhielt, einen kleinen Orden – steht nix von Orden für galoppierende Dummheit drauf – ein Diplom mit meinen Zeiten. Üblicherweise wäre ich jetzt Duschen gegangen. Überlicherweise habe ich im Ziel auch noch Kraft nach. Heute nicht. Ich schlich zum Auto. Zog die verschwitzende Sachen aus (Socke und Verband blieben dran). Warme Sachen an. Da kam auch schon der Schüttelfrost. Totale Erschöpfung. Zuviel gewollt. Rein in den Schlafsack. Retten was zu retten war.

Nach 12 Stunden schlaf dachte ich mich nie wieder richtig bewegen zu können. Alles tat irgendwie weh. Ich schaffte es mich anzuziehen. Stinkend wie ich war lies in den Motor an, zwängte meine Füße erneut in Schuhe und machte mich auf die Heimfahrt. Schönes Gefühl den Gasfuß für 600km auf eine offene Wunde zu stellen.

Zu Hause habe ich sofort ein Bad genommen. War ja ekelig genug im nun mehr 36 Stunden im eigenen Saft gebraten zu haben. Melise ins Badewasser und rein. Danach den rechten Fuß in ein desinfizierendes und gerbendes Bad. Viel konnte man jetzt nicht mehr retten. Aber einen Versuch war es wert.

Heute am Montag kann ich wieder etwas besser gehen. Die Ferse ist natürlich noch offen. Meine Hüften weigern sich eine wahrnehmbare Rotation auszuführen. Ich kann Treppen runter aber kaum hoch gehen (nach Laufveranstaltungen ist es genau umgekehrt, bei mir jedenfalls).

Aber das wichtigste: Ich lebe noch. Und sage ich sonst gern: war doch klar, ich weiß doch was ich tue. Diesmal kann ich das nicht sagen. Falls also jetzt einer einen „harter Hund“ Kommentar abgeben will, bitte nicht das „blöder“ „dummer“ oder so vergessen. Ich bin NICHT stolz.

Wahrscheinlich gibt es nicht viele die ähnlich behämmert sind wie ich. Falls doch: Laßt Euch dieses Erlebnis eine Lehre sein: In diesem Sinne, schön das ich noch lebe, an meinem Hirn lag´s nicht.