80km Hexenstieg - der Tag an dem ich meine Füße öffnete
Auch wenn ich mich wiederhole: Ich hatte natürlich nicht
richtig trainiert. Vor der Treppe waren es 100km in Toto. Dann die Treppe mit 60km
und 21 Stunden als lange Einheit. Danach noch müde 60km verteilt auf 4 Wochen. 220
für einen Hundert Meiler. Muß reichen. Wenn das jetzt ein langer Lauf wäre…. Ja, is
ja gut Tessa ich hör ja schon auf.
Immerhin machte auch ich mir Sorgen. Ähnlich schlecht vorbereitet hatte der GAX ja
nach 80km auf meine weitere Teilnahme verzichten müssen. Hier waren noch weniger
Starter (5!) und ich war definitiv als Schlussmann gebucht. Würde sich das negativ
auf meine Moral auswirken? Wer weiß. Aber ich hatte ja den brennenden Ehrgeiz das
Ding zu Ende zu bringen. 32 Stunden würde ich brauchen dürfen. Ca. 2000-3000
Höhenmeter müsste ich abraspeln (genau wussten es wohl nur die Brocken Hexen).
Die Vorzeichen waren aber definitiv schlecht. Zum einen wurde der Start auf 6:00
vorverlegt. Ich war also nicht ausgeschlafen. Zum anderen war das Wetter mies.
Es wechselte zwischen Nieselregen und echtem Regen. Na prima. Klamottentechnisch
war ich auf Regen aber vorbereitet und so ging es dann los in das 100 Meilen
Experiment.
Moderat. Ging ja gleich munter bergan. Osterode raus
Richtung Altenau. Altenau. Hier war ich als Stöpsel oft mit meinen Eltern.
Romantisch. Ich würde am Dammhaus vorbeilaufen. Damals kehrte ich dort gern ein.
Es gab einen Automaten. So eine Glaskugel. Kamen kandierte Erdnüsse raus. 10Pf.
Ach ja die Jugend. Lang ist es her. Und nur diesem Automaten war es zu verdanken,
dass ich freiwillig die Strecke Altenau Dammhaus unter die Hufe nahm. Heute laufe
ich weiter und vermutlich wird mir nirgends so ein Automat das Leben versüßen.
Die Zeiten ändern sich.
Aber noch war ich nicht am Dammhaus. Es ging weiter doch
Wälder, vorbei an kurzen Skipisten. Und bald tauchten auch die ersten Stauseen auf.
In der Morgenstimmung einfach herrlich. Auch weil dann immer Abschnitte an
Wasserleitungsgräben folgten, die natürlich recht eben angelegt waren. Aber
noch war ich nicht am Dammgraben. Diese würde dann sehr lange ein fast
waagerechtes Laufen erlauben.
Nach 16km kam die erste unbemannte Verpflegungsstelle.
Ein Umzugskarton gefüllt mit allem was das Läuferherz begehrt. Ich trank reichlich,
aß ein bisschen Riegel und lief weiter.
Oder war es besser mit ich humpelte weiter zu umschreiben?.
Seit einigen Wochen war der linke Fuß irgendwie hin. Knick, Senk, Spreiz. Erstmal
ja was, was jeder hat. Wenn das Gewölbe aber final platt ist, dann drücken schon
mal Knochen aneinander. Wenn die das länger machen. Z.B. auf einer Treppe, dann
ist schnell aus mit dem friedlichen Nebeneinander. Man reibt sich, es gibt Zoff
und zurück bleiben Schmerzen. Im Liegen kein Problem. Stehen geht, man hat ja
noch einen Fuß für die Lastverteilung. Gehen? Ha. Da wird es lustig. Ferse
aufsetzen. Null Problem. Vollständiger Bodenkontakt in der Rollphase. Man
spürt sie schon die Reiszwecken. Abrollen über die Zehen. Jetzt drücken sich
die Reiszwecken bis zum Anschlag in den Fuß. Was schmerzhaft ist. Komischerweise
werden die Reiszwecken für jeden Schritt neu ausgelegt.
Ich machte die Erfahrung, dass man ca. 3-4 Stunden braucht, damit das Hirn die
Schmerzleitung kappt. Noch war ich nicht so lange unterwegs und konnte die
Reiszwecken also genießen.
Ich war am Dammgraben angelangt. Normal ist es so,
dass der Bach neben dem Weg fließt. Heute war die Unterscheidung Graben/Weg
etwas knifflig. Es regnete doch recht beständig. Der Weg war aufgeweicht.
Die Schuhe auch. Stellenweise hatten Waldarbeiter gewütet und den Weg in
einem desolaten Zustand zurückgelassen. Kneipen in 20cm Wasser wäre möglich
gewesen. Ich versuchte dies nicht zu testen. Die Füße waren eh nass genug.
Dann sah ich auch das Dammhaus. Ein kurzer wehmütiger Blick zurück in die
Jugend und vorbei war ich.
Jetzt Richtung Torfhaus. Wieder verbunden mit
Anstiegen. Durchaus Steile. Steil war auch die Wand. Es ging über einen
Wegabschnitt, der sich nämlich Steile Wand schimpft. Links ging es flott
bergab. Nichts was mich stört. Hier aber war es so, dass der Regen mittlerweile
in SCHNEE !!! übergegangen war und es nun durchaus so war, dass ein aufgeweichter,
nasser Pfad mit einer wachsenden Schneedecke doch zu intensiver Gangkontrolle
führte. Das kostete Zeit und Kraft.
Oben am Torfhaus dann die Meldung am Verpflegungposten
ch sei Zweiter. Häh? Spinnen die? Ich Zweiter? Nicht im Traum. War aber so. Wäre
ich direkt weitergelaufen wäre ich sogar erster gewesen. Warum? Ein zweier Team
war auf ne Tasse Kaffe und ein Toilette eingekehrt, der führende hatte sich
verlaufen und kam gerade zurück… So kann es gehen. Das Zweierteam lief aber
vor mir los und der Verlaufene überholte mich kurz danach auf dem Götheweg
Richtung Brocken.
Endlich der beginn des Goetheweges. Ein Stück Entspannung
entlang an einem alten Wassergraben. Wieder Topfeben der Weg. Vor 3 Wochen war
ich mit Ben zum Wandern hier, da ging es noch über ausgedehnte Eisflächen und
mir wurde ganz mulmig beim Gedanken hier laufen zu müssen. Die Eisplatten waren
weg… aber der Neuschnee lag rum. Komische Welt.
Es folgt der Anstieg zum Brocken. Erst sanft. Hinauf
bis zum Eckersprung. Dann recht anspruchsvoll hinauf auf den alten Panzerplatten
der DDR Grenze. Klar. Ich gehe hier natürlich. Soll ja Spaß bringen und ich
brauche meine Kraft noch. Oben auf dem Brocken ist ja nicht Schluß. Mittlerweile
ist der Schnee ca. 8cm hoch. Naß. Pappig. Trockene Füsse war gestern. Ich hatte
mir mittlerweile meine Regenjacke angezogen und eng verschnürrt. Hier oben fiel
der Schnee waagerecht. Es waren Minusgrade.
Es geht entlang der alten Bahnlinie. Hier haben Nationalpark
Verunstalter einen wahren Glücksgriff getan. Es gab dort einen herrlichen Weg über
Holzplanken durch ein malerisches Hochmoor. Irgendein geistig verwirrter Nationalparkler hatte dann die Idee einem Kumpel im Baugewerbe mal die Chance zu geben ordentlich Moor zu zerstören und aus dem malerischen Plankenweg eine Rollatortaugliche Autobahn zu machen. Gesagt getan. Es wurde das Moor entfernt, mit Kies aufgefüllt, planiert. Jetzt gibt es einen gut 2m breiten Weg mit Promenaden Grand. Lieblos in die Gegend gefräst. Hut ab vor so viel Feingefühl. Auch Lauftechnisch total neben der Spur. War der Plankenweg so, dass man mal gucken musste, Wechsel in Schrittlänge etc. einbauen musste, so kann man jetzt das Hirn wegschalten und stumpf vor sich hin traben. Und das selbst im Schnee!
Auf den Spuren des zerstörten Moores näherte ich mich der Brockenstraße. Ab hier
ging es dann noch grusseliger auf Asphalt die letzten Meter hoch zum Gipfel.
In den Schneefurchen lief mir das Wasser in Bächen entgegen. Ich bin das ja
mal mit dem Rad gefahren. Steil. Zu Fuß aber deutlich entspannter zu bewältigen.
Langsam. Ja langsam war ich, aber noch in meiner privaten Zeitplanung. Alles
korrekt. Oben wäre in etwa ein Marathon gelaufen.
Es gab Fritten und einen Kakao vom Brockenwirt. Alle
Tische voll, beim dem Sturm waren halt alle drin. Ich hockte mich auf eine Treppe.
Nach 10minunten fettgetränkter Pause ging es an den Abstieg. Grobe Richtung Drei
Annen Hohne.
Ab auf den Asphalt und rollen lassen. Nicht zu flott, damit die Knie nicht
wegfliegen. Vorsichtig, damit ich nicht im Schneematsch wegrutsche. Aber auch
nicht zu langsam um nicht zu viel Energie zum Bremsen zu vergeuden. Und besonders
wichtig: Abzweig nicht verpassen. Verlaufen stand definitiv nicht auf dem Zettel.
Der untrainierte Ultra bleibt besser auf dem Pfad. Extratouren sind für andere.
Also schön in verdächtigen Rechtskurven auf den Abzweig schielen.
Es ging auch gut. Ich lief nicht vorbei und war flugs im dichten Wald. In Drei
Anne Hohne hatte Ekke mir einen Kleidersack hingelegt. Nochmal was wärmeres
angezogen, einen kalten Kakao getrunken und ab Richtung Königshütte wo die
nächste offizielle Verpflegungsstelle wartete.
Was sich bergab schon deutlich zeigte, jetzt wurde es zur
Gewissheit: Ich hatte kaum noch Fußhaut. Durch die Nässe waren die Füße jetzt
offen. Jeder Schritt brannte wie Feuer. Immerhin waren die Reiszwecken aus der
Anfangsphase jetzt weg, oder ich spürte Sie unter dem anderen Schmerz nicht mehr.
Es war klar ich würde die 160km nicht schaffen. Ich rechnete mir an dieser Stelle
Chancen aus, es erneut bis Torfhaus zu schaffen. Ca. 130km. Das war mein Ziel.
Ich kam nach Königshütte. Aß Suppe, trank und hoppelte weiter.
Schnell war klar, diese Füße würde nicht mehr lange halten.
Auch die Kraft zog sich jetzt deutlich zurück. Ich merkte, dass die Kälte oben auf
dem Brocken mich einiges an Kraft gekostet hat. Und der Schlamm. Oft musste man den
Fuß kräftig aus dem Matsch ziehen. Und die Strecke wurde schlimmer.
Erst ging es recht entspannt an einer Staustufe der
Bode vorbei. Das war kurz nach dem Zusammenfluß von kalter und warmer Bode
(wo auch immer diese Namen herkommen). Es war eben und der Weg fest.
Dann ging es bergab. Nach dem aufsetzten der Schuhsohle rutschte der
Fuß im Schuh leicht nach vorn. Das fühlte sich an wie das Sanfte
übergleiten eines Käsehobels mit dem Fuß. Welch Feuer man doch im
Fuß haben kann. Ich hatte schon versucht seitlich auf dem Ballen zu
laufen – seit dem schmerzte die Hüfte. Ich hatte die Zehen in den Schuhen
gekrallt, damit die offenen Stellen schweben, - seit dem tat jeder einzelne
Fußnagel weh… so könnte ich noch einige Versuche der Fußentlastung und ihr
jeweiliges schmerzhaftes Ende darstellen.
Dann kam von hinten Brigitte. Sie liefe so schnell,
damit Ihre Füße wieder warm würden. Tja, so könnend die Probleme sich
unterscheiden.
Es folgte ein Anstieg im Schlamm. Vorbei an riesigen Abraumhalden von
Rübeland. Ich war kraftlos. Ein kleiner Waldfriedhof. Leider war kein
offenes Grab zu sehen. Das wäre jetzt zu schön gewesen. Hinlegen und
vergessen. Wieder bergab. Der Käsehobel war durch einen Bandschleifer
ersetzt worden. Ich freute mich darüber, dass der Abstieg so glitschig
war, dass ich oft erst nach 30-40cm schliddern festen Halt fand. Das
verminderte den Anpressdruck des Bandschleifers unter dem Fuß, was
wiederum den Schmerz erträglicher machte.
Ich griff zum Telefon und informierte den Veranstalter,
#dass ich das Erreichen des Wendepunktes bei ca. km 80 als Herausforderung
empfinden würde und dort auf jeden Fall das Rennen abbrechen werde. Ich
wurde kurz darüber informiert, dass die letzten 8km sehr heftig seien.
Ha. Heftig. Das war es auch jetzt schon. Ich ahnte nicht was mich erwartet.
Zunächst ging es wieder an der Bode lang. Single Trail.
5cm Schlamm. Mal hoch, mal runter. Wie durch ein Wunder bin ich nie gestürzt.
Die Schuhe wogen 2kg. Gesperrter Weg. Hoch den Hang, fast senkrecht wieder
runter. Unten war der Weg weggespült. Kleine Bäumchen als Halt genutzt.
Flurschaden enorm, aber anders ging es nicht mehr. So zogen sich die km.
Dann kam mir das Zweierteam entgegen (Peter den Führenden hatte ich kurz
hinter Rübeland getroffen), Brigitte sei nur knapp zwei Minuten vor mir
und langsam, die könne ich noch kriegen. Haha..als ob das meine Absicht
wäre, irgendwen zu kriegen. Ich wollte nur noch sterben.
Und dann kam der Anstieg. Aber so was von Anstieg.
Ich schlich. Es wurde dunkel. Hatte ich die Augen zu? Nein es war die Dämmerung.
Nach ca. gefühlten 3 Jahren war ich oben. Der Anstieg war geschafft. Dann eine
Lichtung mit viel geschlagenem Holz und einer Scharr von Jägern. Angst!
Ich schaltet alles Licht ein was ich hatte. Zwar soll der Finger erst
gekrümmt werden, wenn das Wild eindeutig angesprochen wurde… aber wer
traut schon dem Jäger, wenn er selbst am falschen Ende des Laufes steht,
äh Läuft?
Dann kam mir eine goldene Fee aus dem Wald entgegen.
Beim Näherkommen entpuppte sich die Gestalt als Brigitte, die in eine
Rettungsdecke gehüllt auf Gegenkurs war. Sie hatte sich verlaufen.
Gemeinsam ging es auf die letzten km. Es war jetzt zappenduster
und der Weg war alle Naselang durch umgestürzte Bäume versperrt.
Umweg jeweils über die Böschung. Einmal stürzte Brigitte die Böschung
hinab. Ihre Füße waren so eisig, dass Sie den Auftritt nicht mehr spürte.
Ich hingegen spürte den Auftritt so deutlich, dass ich mir das gern erspart
hätte.
Einmal hatte wir dann auch noch Orientierungsprobleme
und mussten ca. 300m doppelt laufen. Dann kamen wir auf den Damm bei Wendefurt
und fielen über die Nahrungsmittel im Versorgungsfahrzeug her. Geschafft. Für
uns Beide war hier Schluss. Fast 80km. Nicht mal die Hälfte vom Plan. Ich war –
was nicht oft der Fall ist – enttäuscht. Dumm eigentlich, aber ich hatte mir
halt mehr vorgenommen.
Ich möchte mich noch mal ganz, ganz herzlich bei Michael
und Susanne für den tollen Support an der Strecke bedanken und dafür, dass Sie
den ganzen Streß für lächerliche 5 Verrückte überhaupt auf sich nehmen! Danke.
Und heute kann ich der Ganzen Sache auch sehr positiv
gegenüberstehen. Es war sicherlich ein anstrengender und schmerzlicher Lauf.
Aber die Eindrücke waren dann auch sehr schön. Der Schneesturm auf dem Brocken
war murks für den Lauf, aber ein Erlebnis für sich allein genommen. Mental habe
ich viel über mich selbst gelernt. Und eins ist sicher: Ich komme wieder in den
Harz und werde mir diesen Hexenstieg noch mal in aller Ruhe vornehmen. So einfach
kommt der nicht davon. Vielleicht starte ich dann gleich in Neopren und mit Flossen… wir werden sehen.
Jetzt müssen die Füße erstmal dicht wachsen – gute Erfolge
sind schon zu spüren, immerhin bin ich gestern 10Stunden mit den Zwergen durch
einen Vergnügungspark gelaufen ohne ständig zu jaulen. Biel ist nicht mehr weit.
Trainieren werde ich wohl auch noch ein bisschen. Denn die Hexe wäre mit Training
sicher auch ein wenig besser zu ertragen gewesen.
Anbei noch das Höhenprofil. Da ich den Akku wechseln
mußte ist der zweite Teil nicht genauso skaliert wie der erste. Aber man
sieht die Wellen schön.