Jungfrau 5.0

September 2009

Zum 5ten Mal die Jungfrau

Moin,
JFM Release 5.0 – Friß oder stirb Edition
September. Wie jedes Jahr geht es auf den Berg. Release 5.0 des Jungfrau Marathon steht an. Letztes Jahr hatte ich ein DNF auf der Strecke. Warum? Ich war kurz vorher 100km gegangen und hatte nicht richtig trainiert.
Normal würde man erwarten, dass ich dann dieses Jahr anders unterwegs bin. Ein bisschen stimmt es sogar. Es waren diesmal nur 80km. Dafür aber nicht 4 Wochen vor dem JFM wie letztes Jahr, sondern nur 3 Wochen. Dafür habe ich etwas mehr trainiert. Sicher nicht ausreichend, aber mehr. Und man sagt so schön „Die Woche soll man in etwa den Umfang des Laufes trainieren“. Die Woche. In diesem Fall „Die Woche“ vor der Tapering Woche habe ich das auch gemacht.
Aber dieser JFM ist eh anders. Ein Mensch – weiblich – hatte mich – Alter Mann – gefragt ob ich mit Ihr den JFM hoppeln würde. Wow. Stolz durchwogte meinen Körper. Das passiert einem ja nicht so oft. Auf Grund sehr unschöner Umstände konnte allerdings dieses Angebot dann doch nicht wahrgenommen werden. Dennoch war ich stolz und folglich wollte ich den JFM besagter Person widmen (Anm. d. Red.: Name bekannt, aber wer weiß schon ob jeder öffentlich genannt werden mag)
Ich hatte also eine mir sehr bekannte Ausgangslage: Ich war nicht trainiert, ich hatte im Vorfeld Unfung gemacht, ich hatte die beim GAX kurz aufkeimende Vernunft wieder nach Hause geschickt und ich wollte oben ankommen bevor der Besen mich erwischt. Diesmal würde mich auch noch der Umstand nach oben treiben, dass ich den Lauf „für jemanden“ mache.
Letztes hatte ich Jahr die Idee aufgrund obiger Umstände nicht zu schnell zu beginnen und mir Kraft für die Wand aufzuheben. Es wurde ein DNF, da man Kraft nicht aufheben kann, die Wand so steil ist, dass ich da eh fast stehe und überhaupt.
Daher dieses Jahr ein anderer Plan: Die Friß oder Stirb Edition des JFM. Trainingsstand angepasste volle Kamele bis zur Wand. Übersetzt in Pace würde dies für mich bedeuten: Im platten Teil zu beginn sub 6, ab Beginn der Steigung sub 7 bis zur Wand. Damit müsste ich – wenn ich in der Wand nicht kolabiere oder zur Salzsäule mutiere – am Ende der Wand ca. 10-15min schneller sein als in 2008. Der Besen Fredel würde mich damit wohl nicht vor Wixi stellen können. Nach Wixi ist man ja quasi schon im Ziel und gewinnt neue Kraft durch häufiges murmeln von „iss ja nicht mehr weit“.
Ach ja, eins wollte ich auch noch anders machen: Die Anreise sollte entspannt laufen. Nicht wie in 08 morgens am Flughafen feststellen, dass man den Flug für Abends gebucht hat.. na ihr kennt die Story ja. Ich flog also bereits am Donnerstag Abend. Wollte mir einen Teil der Nacht mit der Strecke Basel Interlaken um die Ohren und schlagen und dann die Villa in den frühen Morgenstunden des Freitag erreichn. Bliebe ein ganzer Tag für Erholung mentale Vorbereitung.
So weit so gut. Der Plan war stressfreie Anreise. Ich muss das wiederholen, weil mich dann das Leben eingeholt hat. Nachdem ich etwas verspätet den Flughafen Basel erreichte, nahezu blitzartig im Bus zum Bahnhof verschwunden war - man kennt sich bei Release 5.0 ja aus - erreichte Basel essbeebee, wie dei Schweizer sagen, gegen 23:00. Und warum waren jetzt die Ticketschalter zu? Stimmt, ist spät, die sind müde. Kann man verstehen. Also zur Tafel mit den Abfahrten. Last Exit Interlaken. Nix im Feld von 23-24Uhr. Dito 24-1 Uhr. Nix. Ihr ahnt es schon. Bummelzüge? S-Bahn Hattrick? Nein. Nichts geht mehr. So ein Mist. Also um 5:24 kann ich fahren. ICE sogar. Plan B: billige Hotel in Basel.
Ab an die Luft - denn im Bahnhof gab es keine Hotelinformation wie ich gehoft hatte. Ich sehe Schweizer Hof, Hilton... na muss nicht sein. Zu teuer. 1,5std. später oder auch ca. 15 Hotels später frage ich auch dort. Aber überall die gleiche Antwort: Wir haben Muster Messe - was für Muster? - alles ausgebucht. SUPER! Der schicke Wartesaal wurde um 0:30 abgeschlossen. Es ist mittlerweile 1:00Uhr. Ich lege mic auf eine wingschützte Bank auf dem Bahnsteig. Das gute daran ist, dass ich so oft aufwache, dass ich mental den Lauf nochmal in allen Phasen durchgehen kann.
5:00 ich verlasse meine lieb gewonnene Ruhstatt. Die Schalter öffnen um 6:00. Die Automaten kennen den Reduktisoncode für die ermässigten Preise des JFM nicht. Wäre auch zu schön gewesen.
Ab zum Zug. Bordpersonal gesucht. Kann ich hier reduziert kaufen? Nö, geht nur am Schalter. Ich muss aber mittlerweile so abgerissen ausgesehen haben, dass der herzensliebe Mensch mir vorschluf die 10min Stop in Bern zu nutzen um die Karten zu kaufen. 1std. später. Einfahrt in Bern. Schalter sind offen. Tür auf. Sprint. Schalter. Schlange. War klar oder? Zeit verinnt. Dann die erlösenden Worte: Sie wünschen. Karte. Basel Interlaken und Retour mit JFM Rabatt. 55SFR. Karte. Wechselgeld. Sprint. Sprung in den Zug. Piep Piep.. die Türen schliessen. Den ersten Besenwagen habe ich ausgestrickst.
Ich liebe es wenn Tage so entspannt beginnen.
8:00 und ein Kecks. Interlaken West. Herrlich. Noch kurz den Rolltrolly zur Villa ziehen, Knickfuss machen, dass ich nciht schon in der Nacht angekommen bin wie angekündigt. Die Entschuldigung und den Wunsch die Buchung zu behalten hatte ich schon auf Band gesprochen. Und dann ins Bett.
Wieder so ein Plan... Debbie an der Rezeption. Wowbagger Planlos in Interlaken Teil 2: "Du warst schon auf dem Band, oder?" "Ja" "Ich hab hier nichts" "Hä" Zettel mit Reservierung auf den Tresen gelegt. Debbie: "Ach deswegen, ist erst ab heute" Grummel. D.h. Zimmer erst nachmittags fertig. Und ich will doch endlich schlafen. Na dann eben noch Bummel durch Interlaken.
Aber wie schön wäre das dann wohl gewesen, wenn ich nachts abgespannt angekommen wäre und dann keinen Schlüssel aus dem Automaten bekommen hätte. War die Bank auf dem Bahnsteig also so was wie Fügung des Schiksals? Vielleicht. Eine Bank in Interlaken West am Bahnhof wäre zugiger gewesen.
Na immerhin habe ich das Zelt vom JFM schon gesehen. Immerhin das hatte ich nicht verdaddelt. Es war das richtige Wochenende. Leute, Leute ich sollte zu Hause bleieben und mir Zettel mit "einatmen" "ausatmen" schreiben. Komplexere Dinge scheinen mich derzeit etwas zu überfordern!
Aber nun war ich ja da und der normale Trott konnte seinen Lauf nehmen.
Mentale Vorbereitung. Wenn man das Ding schon mehrfach unter die Hufe genommen hat, dann kennt man ja alle Stellen des Laufes gut. Man kann auch gut abschätzen wo es zwicken wird. Auch wo es nicht mehr gehen wird. Wo man völlig erschöpft ins Gras sinken möchte und sagen will: Leute, ich war schon oben, macht Ihr mal weiter, mir reichts, aber so was von! Ich verbrachte also den Freitag damit mir all diese schönen Stellen zum aufhören noch einmal bildlich durch den Kopf gehen zu lassen. Herrlich. Denn eigentlich waren die überall. Schon in Interlaken, kommt man doch in der ersten Schleife schon an Cafes und einem McDoof vorbei. Dann der – ich sag mal – obere Teil des geteilten Sees. Gras am Ufer lädt ein sich hinzulegen. Bei den lauten Kuhglocken sollte man nicht gerade ausgehen. Und so geht es weiter. Hier eine Almwiese, da ein lauschiger Bach mit kühler Luft. Ein Turi Dorf, Massageliegen, glotzende Kühe… Und da ich die am Freitag alle Ausstiegspunkte mental durch hatte, musste ich ja eigentlich am Samstag keinen davon nutzen. Cooler Plan, oder?
Off Topic:
Ich habe ja schon verschiedentlich auf die „Probleme“ hingewiesen die ich in meiner Familie so mit dem Laufen habe. Es wird halt immer wieder über die Zeit gemeckert, die ich laufend verbringe. Nun hatte ich bzgl. des JFM gefragt und die übliche „Mach doch was Du willst“ antwort erhalten. Also nichts Neues. Ebenso wenig überraschend, aber nichts desto trotz nervig, ist das kurz vor dem Abflug Richtung JFM dann immer das genörgele losgeht.
Klar, das „mach doch was Du willst“ aus dem Mund einer Frau ist eigentlich in ein „bleib hier bei Heim und Herd“ zu übersetzen. Aber warum sagt das dann keiner? Solange der andere Satz, der der wirklich gesprochen wurde, der den man hören konnte, der der also Bestand hat, im Raum steht. Solange wird doch jeder Laufverrückte sagen: Öh, Klasse dann fahr ich doch.
Na mich nervt das. Vielleicht sollte ich mal ne Zeit Fußball spielen. 2mal die Woche Training, am Wochenende Tabellenspiele und ewig mit den Kumpels saufen. Im Vergleich dazu ist Laufen doch sehr Familien tauglich.
Zurück zum Topic:
Am Start das übliche gedrängel. Ich hatte die Hände schon oben um nicht wieder taub den Berg hochlaufen zu müssen. Die Schweizer böllern ja gern rum. Ich stand weit vorn. Gehöre ich nicht hin. Bin ja Schlussläufer. Aber solange wie der Besentyp auf Nettozeitniveau unterwegs ist muß ich vorn starten. Wenns Peng macht muß ich über die Linie. Ich bin zu langsam um noch die 10min zu kompensieren die ich hinten brauche um die Startlinie zu erreichen. Sorry für alle Schnellen die an mir vorbei mussten. Redet mit dem Veranstalter, dass er die Putzkolone so anweisen soll, dass deren zeit zu zählen beginnt, wenn der LETZTE über die Startlinie ist. Solange wie das nicht hinhaut werdet Ihr um die Wanderbaustelle Wow“bagger“ herum laufen müssen.
Ich hatte eine Pulle in der Hand. Schnappte mir bis km 10 nur ein paar Becher und zog am Gas so gut ich konnte. Durchgangszeit 10km 57min. Aber ich merkte schon, Kraft war nicht mein Ding heute.
Ich blieb am Gas. Ging beim Parkhaus in Lauterbrunn das erstemal ein lägeres Stück. Aber ich habe bis dahin schon böse kämpfen müssen. Leicht ist definitiv etwas anderes. Aber aufgeben ging nicht. ich wollte ja für jemanden anderen oben ankommen. Halbmarathon hatte ich dann in 2:16. Krass. Ich hatte also noch Luft auf den Kerl mit dem Besen. Ich lief dann noch bis km 26. Die Wand. Da ging ich dann LANGSAM hoch. Ich wurde nur überholt. Das kostete deutlich Nerven. Und die hatte ich eigentlich eh nicht mehr. Aber ändern ging auch nicht. Ich musste nicht stehen bleiben, aber ich kam auch nicht wirklcih voran. So war das. Immer einen Fuss vor den anderen. Langsam. Bedächtig. Keuchend. Aufwärts. Dann endlich die Sanitäter. Das Ende der Steigung war nicht mehr so weit weg. Oben angekommen konnte ich sogar die Abwärts strecke laufen. Vorsichtige die Waden zwickten. Nur keinen Krampf. Das wäre so ziemlich das dämlichste. Nein, so wollte ich nicht enden. Also Piano. 30km. Die Uhr steht bei 3:51 Ich habe fast 15min gut auf den blöden Besen. Und es läuft ganz gut.
Ich gehe flott. Jetzt in den flacheren Etappen kann auch ich wieder mal überholen. 34km hier hatte mich der Blödi letztes Jahr final erlegt. Nein diesmal war ich vor Dir. Wird nichts Kerl. Hast wohl nicht gut gefrühstückt. Mich nicht. Nicht diesmal. Nicht hier. Nicht heute. Ich bleibe vor Dir. Und wenn ich die Lunge auf den Gehweg huste. HEUTE NICHT.
35km ich habe 18min vorsprung. Wixi. Ich bin durch. Kein Lawinenzaun. Kein netter Sani. Kein hier ist jetzt mal gut für den alten Wowbagger. Ich renne runter. Die Muskeln sind wieder fit. Keine Idee von einem Krampf. Geht doch. Noch mal Cola in Mengen. Tischmanieren braucht hier keiner. Ca. 1km war mein Röbsen wohl zu hören. Aber ich hatte Durst. Ich habe Becher weise braunes Zuckerwasser in mich hineingefüllt. Jetzt den Berg hoch. ich züchte eine Schlange. ich bin langsam. Die hinter mir wollen aber nicht vorbei. Ich bin wohl so eine Art negative Pacemaker. na egal. ich Laufe hier für mich und mein Blind Date. Nicht mehr und nicht weniger. Es zieht sich. Aber einige Becher Cola später bin ich auf dem Grasfreien Stück der Moräne. Nichts kann mich jetzt noch bremsen. Bergab laufe ich. Die Beine sind an dem Punkt wo Sie sagen: Der hört eh nicht auf uns, dann müssen wir wohl noch mal ran. Es gibt hier oben jetzt eine Teich. Schnee Kanonen ahoi. Am Teich vorbei. Die letzten Meter. Was wohl meine netto Zeit wird. Ich denke ich war bisher mal in 6:25 oben. Das kann ich schaffen. 6:24:02 Wow (am Ende ist mein Rekord aber doch 6:21, aber das ist sowas von togal).
Ich falle auf die Wiese. Ich bin total tot. Es bricht aus mir heraus. Ich flenne wie ein Schlosshund. Die Tränen laufen. ich kann gar nicht mehr aufhören. Die ganze Anspannung. Bloss nciht scheitern. Was ist mit der Nacht ohne Schlaf. Das mangelnde Training. Alles fällt von mir ab. Ich liege da und heule. Auch mal eine nette Erfahrung. Das geht bestimmt eine virtel Stunde so. Ich trinke den Rest aus meiner Flasche. Flenne meinem Blind Date auf den AB. Gebe Tessa ein schon etwas gefasteren Bericht. Sage der Familie das ich trotz mangelnden Supports die Kleine Scheideg erreicht habe. Aber ich bin immer noch nicht Herr meiener Gefühle. Ich greife mir das Finisher Shirt. Ich muss das sehen, damit ich es auch glauben kann. Doch da steht es: FINISHER. Muss stimmen. Eben im Internet steht es auch. ES ist real. Ein Lauf wie bisher keiner. Leute, das war wohl das was man Limit nennt. Gefühlsmässig und von der Kraft her.
Ich habe diesmal nicht oben geduscht. Ich brauchte die Stunden in der Bahn um mich zu sammeln. Eben in der Villa dann heisses Wasser in massen. Jetzt sitze ich hier. Warm. Finisher Shirt ist an. Vielleicht sehe ich mein Blind Date noch. Habe noch eine überraschung. Wenn nicht gehe ich gleich essen. Hunger habe ich. Trotz Gel Diät und Riegel fressen.
Leute ich bin froh und glücklich das ich dieses Ding überlebt habe. Das war eine neue Grenzerfahrung für mich. Danke fürs lesen. Scheut Euch nicht den Unfung zu kommentieren.

Und wie immer das Fazit: