Gehen Arbeit

Moin,

Der Arbeitsweg

Ich geh dann mal arbeiten. Genau. Gehen. Also hingehen. Nicht fahren. Weder mit dem Auto noch mit dem Rad. Auch nicht joggen. Nein Gehen. Ich gehe dahin.
Diese Aussage, oder besser dieser Umstand, führt doch zu ungläubigen Blicken. Bei meinen Kollegen und bei meiner Familie. Wie? Du gehst 13km zu Fuß. Ja. Warum auch nicht. Zum einen bin ich - als es noch ging - die Strecke oft gelaufen. Aber das ist derzeit halt mit der Blechhüfte nicht, oder zumindest noch nicht, wieder drin. Daher bleibt derzeit nur das Gehen.
13km durch eine Landschaftlich durchaus reizvolle Strecke. Dafür, dass alles in der Stadt liegt ist es sehr grün. Erst ein kleiner Bach inklusive des dazugehörigen Naturschutzstreifens. Dann ein kleines Stück entlang an einer breiteren Straße. Der längste Teil der Strecke dann im schönen Alstertal. Der Fluss immer an meiner Seite. Mal links mal rechts.
Morgens hängt oft noch der leichte Nebeldunst über den gelegentlich zu passierenden Wiesen. Die Feuchtigkeit trägt den leichten Modergeruch zu meinem Riechorgan. Solange wie kein radelnder Hipster oder ähnliches an mir vorüber kommt ist es also ein tolles Erlebnis.
Aber mit zunehmenden Frühling kommen diese Typen. Meist auf einem sündhaft teuren Mountainbike. Was OK ist. Was nicht OK ist, ist das die Kerle glauben die Flaschen mit dem Eau de Toilette sind deswegen so klein, weil es Portionsflaschen sind. Aber die füllen sich anscheinend jeden Morgen so ein Fläschchen auf die Haut. Eben noch moderiger Naturluft, aber jetzt blei schwere Chemie Ausdünstungen. Atemberaubend im wahrsten Worte des Sinnes. Gruselig. Zum Glück sind immer nur einige wenige die mich so einnebeln. Ich bin früh genug unterwegs, so dass viele dieser Stinkmorchel noch in den Betten liegen.
Ich selbst versprühe auf der Strecke maximal den normalen Gestank eines nicht frischen Sportshirts. Immerhin muss das Ding sowohl den Hin wie auch den Rückweg halten. Der Rückweg ist daher häufig etwas Geruchs intensiver. Alle außer den Parfüm getränkten Typen könnten also von meinem Geruch unangenehm berührt sein. Alle außer denen, weil an die nix anderes als der Geruch Ihres Fläschchensaftes herankommt.
OK genug über diese Gruppe gelästert.
Sonst sind morgens nur Damen in engen Kunstfaser Leggings unterwegs. Nicht allein. Es ist immer irgendwo auch ein Hund vorhanden. Irgendwo ist hier das Stichwort. Leinen hängen als Schalersatz um den Hals. Der Hund ist allein unterwegs. Kommt auch in der Regel mit seiner Freiheit gut zu-recht. Bis auf die Zeiten wo ein Radfahrer ins Spiel gebracht wird. Der Hund läuft am Rand und liest die hinterlassenen Daten seiner vierbeinigen Kollegen. Er ist schwer beschäftigt und nimmt nichts - auch nicht den Radfahrer - wahr. Seine in Nylon gepresste Leinenträgerin hingegen hat den Radfahrer bemerkt. Ignoriert aber, dass Ihr Hund den Radfahrer ignoriert. Kurz vor dem ungefährlichen passieren des Hundes durch das Rad ruft die Nylon Gestalt "Vorsicht Fiffi". Der Hund wendet abrupt in die Fahrspur des Rades und der beinahe Unfall ist perfekt.
Ironie? Einzelschicksal? Nein, ständige Routine. Als Fußgänger ist man ja länger in der Nähe und kann solche Schauspiele in aller Ruhe genießen.
Lebensgefährliche Einlagen gibt es für mich im Alstertal immer dann, wenn ich meine Gehzeiten nicht mit dem Schulbeginn koordiniert habe. Es gilt die Zeiten zu vermeiden wo Horden von Gruppenzwang und Wachstumshormonen gesteuerte Jugendliche in breiter Kolonen Fahrt den Wan-derweg beherrschen. Oder zumindest glauben es zu tun. Ganz besonders böse wird es, wenn in einer Gruppe von männlichen Jugendlichen der weibliche Schwarm des Jahrgangs mitfährt. Die Blicke starr auf das weibliche Wesen gerichtet werden dann alle festen und beweglichen Hindernisse auf dem Weg dem Erdboden gleich gemacht. Hört man daher die herannahenden Balzgeräu-sche einer solchen Gruppe, springt man am besten direkt in die Alster oder erklimmt einen möglichst robusten Baum.
Interessant ist es auch, wenn man auf technisch unbegabte Jugendliche trifft. Die mit abgesprun-gener Kette im Handy nach der Nummer vom ADAC suchen. Wenn man dann zeigt, kurz Kette vorn aufs Blatt heben, Kurbel leicht weiterdrehen, Kette wieder drauf, dann sieht man in überraschte Augen. Wie, so einfach. Na egal. Ich habe das auf meine Wegen bereits das eine oder andere mal vorgeführt und so dazu beigetragen, dass die Generation Ego Shooter auch noch Kette kann.
Irgendwann muss ich dann raus aus dem Alstertal und begebe mich in den Straßenverkehr. Oder besser auf den Fußweg. Nicht schön. Auch wenn das Alstertal nie ganz ruhig ist, man hört immer den Lärm irgendeiner Straße. Sobald man auf dem Gehweg neben einer vierspurigen Straße ist, weiß man was man unter Straßenlärm zu verstehen hat. Verstehen kann man da nämlich nix mehr. Zum Glück ist es nicht mal ein km bevor es wieder in eine Parkanlage geht. An deren Ende wartet dann auch das Bürogebäude welches sich Zielort nennt und mir den Luxus einer Dusche bietet.
Der Park birgt noch die Tücken eines Kindergartens. Eine Horde dreijähriger die von Ihren Betreuer angehalten werden die Schräge Rampe der Fußgängerbrücke hinunter zu laufen sind nicht ohne. Ich frage mich allerdings auch warum die Erzieher dieses Bergablaufen nicht auf der nahen ab-schüssigen Wiese üben. Hier auf der asphaltierten Rampe führen stolperer nämlich immer zu lautstarken Missfallens Äußerungen der gestürzten. Vielleicht sponsert Hansaplast den Kindergarten. Ich sollte das mal prüfen.

Aber zurück zum Entsetzen Du gehst wirklich 13km in die Firma. Wo sind wir heute eigentlich an-gekommen, dass diese Strecke dem Zuhörer das blanke Entsetzen in die Augen treibt? Ja, es dau-ert - gute zwei Stunden - die Zeit hat man halt nicht für anderes. Aber es ist körperlich nicht wirklich eine Herausforderung. Und noch vor wenigen Jahren sind viele Menschen solche Strecken zu Fuß gegangen. Aber heute gilt man als Exot und Verrückt.
Ich wünschte mehr Menschen würden mal einiges zu Fuß gehen. Es heißt nicht umsonst, nur wo Du zu Fuß warst, bist Du wirklich gewesen. Es ist erstaunlich was man alles sieht und beobachtet, wenn man eine Strecke geht und nicht fährt. Der Blick kann viel länger umherschweifen.

Ich gehe gern und auf meiner Strecke gibt es immer etwas neues zu sehen und leider auch zu riechen.