Heidi 111

Moin,

Heidi 111

So, mal wieder auf große Tour? Warum nicht. Lars macht die 222 bei der Heidi. Als Jogger. Ich dachte 111km als Wanderer das wird schon passen. Start in die Nacht hinein. Kenne ich ja. Dachte ich. Also Biel, Dodentocht...alles startet in die Nacht. Training. Ach, warum. Ich hab gerade mit Tamara die Ironlake Challenge 25 fertig gewandert. Strecken bis an die 40km am Tag. Das sollte doch reichen. War immer so, wird auch diesmal passen.
Anreise per ÖPNV, das Deutschland Ticket ist schon toll. Soltau. Ich bin hier angekommen, als ich vor einiger Zeit den Heidschnucken Weg von Fischbek aus als Mehrtages Tour (übernachten im Wald) gewandert bin. Ein wenig kenne ich mich also aus. Im leichten Regen zum Startpunkt. Ein Pavillion und Bierzeltbänke empfangen mich. Carina, der Name wird später noch relevant, ist schon vor mir dort. Zwei Stunden warten stehen nun noch auf dem Zettel. Ein wenig reden, viel Ruhe.
Dann taucht Lars auf. Er hat die 111km von Celle hier her geschafft bevor ich starten konnte. Krass. Er will jetzt mit mir ein wenig gehen. Dann kurz vor dem Start die Ansage, geh schon mal los ich komme nach.
20:00 es geht los. Letzte Ansprache durch Oliver dem Organisator, ich bin auf der Strecke. Es ist nicht mehr so regnerisch. Fein. Heidepark Soltau erreichen wir noch im hellen. Aber es ist wenig los. Die Wege breit und leicht zu gehen. Noch sehe ich andere Wanderer. Wir waren nur ca. 25 am Start und es zieht sich dann doch auseinander.
Hinter einer Bushaltestelle die erste unbemannte Versorgungstation. Wasser. Ich ziehe mir eine Pulle durch die Kehle und weiter geht es. Die zwei Damen die lange hinter mir waren ziehen vorbei. Die Beiden sehe ich noch ein paar mal wieder. Leider nicht, weil ich fix bin, sondern weil die Beiden gern mal die Strecke nicht finden.
Es wird dunkel ich bin häufiger allein, aber kurz vor dem ersten echten VP bin ich wieder in einer kleinen Gruppe. Verlaufen und aufholen haben es möglich gemacht. Lars hatte mich vor einiger Zeit eingeholt, da ich zu langsam war ist er aber dann wieder weg gewesen. Hier im wirklich tollen VP liegt er und schläft ein wenig. Ich „fr“esse fix ein paar Kartoffeln mit Quark, ein paar Milky way, etwas Spezi und weiter geht es. Am VP „überhole“ ich wieder ein paar Wanderer, die mich dann auf der Strecke wieder einsammeln.
Es ist Nacht. Ich habe von allen auf der Strecke das schwächste Licht. Ich mag es, wenn ich neben meinem Licht noch in die Dunkelheit sehen kann. Wenn ich von hinten überholt werde, dann sehe ich schon von weitem die ultra hellen Stirnlampen tanzen. Meine Lampe tanzt nicht, sie ich vor der Brust angebracht. Ruhig leuchtet sie nach vorn. Drehe ich meinen Kopf zur Seite sehe ich unbeleuchtet in die Heidi. Ich mag das.
Der Morgen graut. Leichter Regen und Nebel. Ein Traum von Bild. Mir geht es gut. Müde Beine aber nach fast 40km darf man was spüren. Wilseder Berg. Wie oft war ich schon hier. Aber kurz vor 5 Morgen noch nie (wobei ich hab ja oben in der Schutzhütte schon übernachtet, da war ich dann um die Zeit auch oben, aber nicht wach). Jetzt noch den Berg runter und VP2 wartet in Wilsede.
Wieder ein Bierzelt. Aber mit geschlossenen Seiten und Heizung. Nicht schlecht. Ich futter wieder fix, trinke und mache mich auf den Weg. Lars hatte mich ca. 300m vor Wilsede eingeholt und wird wieder etwas schlafen.
Der Regen hat richtig begonnen. Es prasselt wie wild. Regenjacke an, Goretex Hut auf und los. Es läuft eigentlich gut. Denke ich. Aber der Regen saugt Kraft. Überall ist Wasser auf dem Weg. Nicht jede Pfütze kann ich meiden. Eine ist tiefer als gedacht. Leichte Umknicken. Ich tue mal so, als ob das Unheil hier seinen Startpunkt gesetzt hat.
Ich gehe unrunder danach. Aber vermutlich war das schon vorher so. Ich habe hier zu Hause eine wirklich tiefe üble Blase an der rechten Ferse entdeckt. Die war beim Gehen gar nicht so aufgefallen, wird aber wohl auch zu einem unrunden Gang beigetragen haben. Durch das umknicken sind meine Sinne mehr auf die Füße gerichtet und ich bemerke das „unrunde“. Auch wird mir kalt. Ich bin – noch – nicht richtig nass, aber der Regen ist kalt und das zieht durch. Die Schritte rollen nicht mehr. Ich gehe nicht, ich muss gehen. Ich muss die Schritte bewusst setzen, es passiert nicht mehr von selbst.
So werde ich langsamer und langsamer. Es wird klar 111km werden da nicht. Buchholz. Schaffe ich das noch? Nein, die Zeichen stehen auf Handeloh. Da soll es hingehen. Ich sehe die km angaben auf den Wegweisern. Es wird nicht weniger. Von 11:30 schiebe ich meine Ankunftsprognose auf 12:00 12:30 13:00.... Nein, auch Handeloh wird es wohl nicht werden. Kurz vor Wesel überholt mich Lars in munterem Tempo. Ich sage ich ihm, ich werde in Wesel abbrechen. Der letzte km dorthin braucht fast 30min. Was OK ist, weil meine Süsse eh eine Zeit braucht um mich dort zu retten.
Ich hocke mich in ein Bushäuschen und warte. Heißen Tee habe ich noch dabei. Mir ist kalt. Rettungsdecke umgelegt. Warten. Zwei Wanderer sehen den Haufen Elend in der Hütte. Ob ich Hilfe brauche. Ich erkläre die Situation und die Beiden sind zufrieden und gehen weiter. Carina kommt. Auch Sie hält an. Aber Sie möchte mich nicht allein lassen. Ich sage es ist OK und habe Sie schon fast zum weitergehen überredet als meine Süsse sich nochmal meldet und so wartet Carina bis ich heil im Auto sitze. Danke dafür. Es ist toll zu sehen, dass Menschen sich um andere kümmern, sich Sorgen machen. Ein schönes Gefühl!
OK, was bleibt von der Heidi 111? Ich muss eingestehen, dass „aus der kalten Hose“ mit Mitte sechzig nicht mehr so viel geht wie mit Mitte 50. Auch eine nicht geschlafene Nacht haut mich mehr um als noch vor ein paar Jahren. Ich werde wohl wirklich alt. Aber was wirklich fein ist, ich habe mittlerweile genug Verstand und genug Erinnerungen an vollbrachte Wanderungen, dass ich auch aufhören kann, wenn der Körper es möchte. Die langen Leidensstories um des Finish willens sich – hoffentlich – vorbei.